Freitag, 29. März 2013

Den Weg nicht verlieren


Fotos meiner allerersten Motorradtour nach Schweden 1984. Aufmerksam betrachte ich jedes einzelne Bild und nehme die Details in mich auf. Meine Güte, ist das lange her. 

Das bin ja ich. Mit meiner Enduro, Zelt und Schlafsack in Schweden. Wie sich die Bilder mit denen aus Irland vom letzten Sommer gleichen. Meine Augen brennen, so tief berühren mich die alten Aufnahmen.

Manchmal weiß man nicht, ob man noch auf dem richtigen Weg ist und droht, sich zu verlieren, nicht mehr zu wissen, wer man ist und wo es längs geht. Mir geht es gerade ein wenig so.

Um herauszufinden, wer ich bin, muss ich mich daran erinnern, wer ich war. Was waren meine Träume? Was war mir wichtig? Wie war ich? Was hat mich ausgemacht? 

Dazu brauche ich keinen Therapeuten, sondern nur meine Erinnerungen und ein paar alte Fotos. Ich werde in die Vergangenheit reisen und einen Bericht über meine erste Tour nach Schweden schreiben. Die Erinnerung daran ist noch so lebendig, als wäre es erst letzten Sommer gewesen. 

1984, seit zwei Jahren bin ich Polizist und verdiene 980 DM monatlich. Handy und GPS gibt es noch nicht und im Kino laufen Rambo und Wargames. Die DDR ist noch in vollem Gange und Negerküsse heißen eben so. Ich selbst 22 Jahre alt, fröhlich, unbekümmert und leidenschaftlich hinter Mädchen her.  


Inzwischen lebe ich schon viele Jahre als Svenja, aber im Grunde hat sich nichts geändert: Meine Träume sind noch immer dieselben und die pure Lust am Leben, die Fröhlichkeit und die Abenteuerlust, auf der Enduro mit Zelt und Schlafsack in die Einsamkeit zu fahren, das alles ist noch so wie früher. Ob als Sven oder Svenja, ob in Turnschuhen oder Pumps. Svenja kann alles, was auch Sven konnte, aber sie kann es auch auf hohen Schuhen! 

Fazit: Manchmal braucht man einen kleinen Fingerzeig, um seinen Weg nicht zu verlieren und sich daran zu erinnern, wer man ist und wo es lang geht. Ich bin noch immer ich, als Svenja heute stärker und entschlossener als je zuvor. 

Die Arbeit an dem alten Reisebericht hilft mir dabei, mich zu erinnern und meinen Weg nicht zu verlieren. So wie der Kompass, den Claudia mir auf den Ärmel meiner alten Endurojacke genäht hat.  

Sonntag, 10. März 2013

Svenja erwartet Besuch

Ich gehöre jedenfalls nicht zu diesen Leuten, die das ganze Haus auf den Kopf stellen, nur weil sie Besuch erwarten.  Ich sauge ein­mal kurz durch und das wars. Ich kann Leute nicht ausstehen, die einen Riesenfilm drehen und allen auf die Nerven gehen, nur weil Besuch kommt. Wem das nicht passt, der muss eben wegbleiben! 

Während ich den Staubsauger über den Teppich schiebe, fällt mein Blick auf die Fenster. Zum Glück habe ich die erst letzte Woche gründlich geputzt. Ich werde nur die Scheiben noch einmal kurz überwischen und die Rahmen abseifen. Fertig. Kein großer Aufstand.

Zwei Eimer Meister Proper später strahlt auch der Fußboden im Bad mit den Fenstern um die Wette. Nur die Fugen über der Wanne sehen auf einmal grau dagegen aus. Na und? Ich erwarte ja schließlich nicht den Papst.

Zur Sicherheit fahre ich kurz rüber in den Baumarkt und besorge zwei Tuben Fugenweiß. Neue Fliesen zu kleben, schaffe ich zeitlich nicht mehr und außerdem habe ich keine Ahnung, wie man das macht. 

An der Kasse entdecke ich eine von diesen praktischen Bürsten, mit denen man Heizungsrippen wieder sauber kriegt. Ich hätte die Heizung lieber überlackiert, aber der junge Mann in der Farbenabteilung meint, das würde nicht mehr rechtzeitig trocken werden.

Während ich im Auto nach Hause fahre, rufe ich bei der Stadt Kiel an, wo man sich schlichtweg weigert, die Stadtreinigung mal eben kurz durch die Muhliusstraße fahren zu lassen. Der Beamte ist kurz angebunden, riecht am Telefon, und ist nicht bereit, sich ernsthaft mit meinem Anliegen zu befassen. Vermutlich ist er ein Messie.

Nachdem ich die Heizkörper gereinigt und das Bücherregal über dem Schreibtisch abgeseift habe, nehme ich die Gardinen ab und stecke sie in die Waschmaschine. Die neuen Deko-Schals, die ich auf dem Rückweg im Dänischen Bettenlager besorgt habe, werden sicher schön dazu aussehen.

Ich bin gut in der Zeit und überlege, eben zu IKEA zu fahren und ein paar Kleinigkeiten zu besorgen, aber ich wohne möbliert und wüsste nicht, wohin mit den anderen Möbeln. Ich verwerfe den Gedanken und beschränke mich darauf, den Ohrensessel mit Polsterreiniger zu behandeln. Während der Schaum einwirkt, spreche ich mit der Hausverwaltung:

"Nein," bekomme ich am Telefon die unwirsche Antwort, "die Reinigungsfirma hat keinen Bereitschaftsdienst. Nein, auch keinen Notdienst. Und außerdem haben die gestern erst ihr Treppenhaus gemacht." Ich erkenne einen Messie, wenn ich ihn am Telefon habe.

Rrrrrring.... klingelt es an der Tür. "Pieps!", rufe ich laut. "Machst du mal bitte auf? Dein großer Bruder Kim ist da." Meine Güte, und ich habe noch gar nichts vorbereitet...

Fazit: Ich muss keinen Türken bauen, um irgendwem die perfekte Hausfrau vorzuspielen. Bei mir sieht es eigentlich immer schön aus, auch ohne, dass ich einen Putzfimmel habe. Ich schiebe die Lasagne in den vorgeheizten Ofen und sehe zufrieden auf meine hübsche, kleine Wohnung. 

Sonntag, 3. März 2013

Ein kühner Plan

"Wieso sagst du nichts?", fragt Claudia misstrauisch, nachdem ich drei Minuten lang geschwiegen habe.

"Wieso? Darf ich nicht auch einfach mal nach­denken?" erwidere ich genervt und verdrehe theatralisch die Augen.

"Aber natürlich darfst du auch mal nachdenken, Tinky Winky, warum eigentlich nicht? Es ist nur ein wenig ungewohnt."

"Weißt du, ich denke gerade an unsere Hurtig­ruten­reise zurück und da ist eine Sache, die ich partout nicht verstehe. Nämlich wieso sie den ganzen Krempel nicht einfach mit LKW die Küste hochfahren. Die sind doch viel schneller und moderner, als so'n alter Kahn, der sich mühsam durch die Wellen kämpft.", stelle ich mit gewohntem Scharfsinn fest. 

Claudias missbilligender Blick sagt mir, dass sie anderer Meinung ist. Es wäre ja auch ein Wunder, wenn sie mir einmal einfach zustimmen würde und wie ich sie kenne, wird sie auch gleich noch die Ober­lehrerin geben:

"Sag mal, Tinky Winky, hast du auch nur eine ungefähre Vorstellung davon, wieviele Kilometer kurvenreicher Straßen man quer durch die Berge, übers Fjell, durch Tunnel und auf Fähren über die Fjorde fahren müsste, um all die kleinen Häfen zu besuchen und bis ans Nordkap und weiter nach Kirkenes zu gelangen?" Sie spricht provozierend langsam und betont sorgfältig jedes einzelne Wort, wie wenn ich blöde wäre. Da ist sie wieder, die Oberlehrerin. Auf die Frau ist Verlass, sie entäuscht einen niemals.

"Wie weit kann das schon sein?", erwidere ich lässig. "Ich schätze mal so zwei oder drei Tage und vielleicht tausend bis tausenddreihundert Kilometer, oder so ähnlich." 

"Ja, oder so ähnlich." sagt Claudia mit dem gütigen Tonfall einer Mutter, die ihrem Kind, das nur den Weg zum Kinder­gar­ten kennt, zu erklären versucht, wie weit es nach Afrika ist: "Das sind fast 6.500 Kilometer bis Kirkenes, wenn man alle Häfen anfahren will, in denen wir mit der MS Lofoten gewesen sind." 

Ich bin beeindruckt, aber das darf ich mir jetzt natürlich nicht anmerken lassen, stattdessen erwidere ich gelassen: "Ja, so in etwa hatte ich auch geschätzt, aber weißt du was man mal machen müsste, was man echt mal bringen müsste? Diese Strecke an Land nachfahren: Hurtigruten mit Motorrad, Zelt und Schlafsack. Das wäre mal eine wirklich coole Reise...!"

"Ja, sicher.", winkt Claudia kopfschüttelnd ab und wendet sich dabei wieder ihrem Sudoku zu. "Du kommst vielleicht immer auf Ideen..."

Fazit: Ende Mai werden Greeny, Pieps und ich auf der MS Color Fantasy nach Oslo fahren und uns in Norwegen auf die Spur der Hurtigruten begeben. Wir werden der langen, zerklüfteten Küstenlinie folgen und viele der kleinen Häfen wiedersehen, in denen wir mit dem Postschiff angelegt haben. Vielleicht gelingt es uns sogar, die MS Lofoten zu treffen. 

Wir werden am Nordkap zelten und weiter über Kirkenes nach Osten bis an die russische Grenze bei Murmansk fahren, dem entferntesten Punkt unserer Reise. Von dort geht es durch die Finnische Tundra bis nach Turku, wo wir auf die Aland-Inseln übersetzen werden. Durch geschicktes Inselhopping gelangt man an die schwedische Küste nördlich von Stockholm, von wo es nur noch tausend Kilometer durch Schweden und Dänemark bis nach Hause sind.