Dienstag, 8. Juli 2014

Die Reise nach Masuren

Der Ostblock ist mir nicht geheuer und alles andere als sympathisch: Trostlos und verdrießlich, trist und grau, grell­bunte Reklame auf bröckelndem Beton, hässliche Einfall­straßen in öde Städte, miese Camping­plätze, auf denen sich am Wochenende betrunkene Jugendliche tummeln. Doch, ich habe ein ziemlich klares Bild von Polen. 

"Bist du denn schon einmal dort gewesen?", möchte Claudia wissen und sieht mich dabei mit diesem ruhigen Blick an, der einem total auf die Nerven gehen kann. So ein Blick, wie ihn sonst nur Deutschlehrer drauf haben, die immer zu wissen scheinen, wenn man nur den Klappentext gelesen hat.

"Wieso? Was hat das denn damit zu tun?", gebe ich ausweichend zurück. Wenn man sich nicht sicher ist, ist es immer gut, eine Gegenfrage zu stellen.

"Also, warst du schon einmal in Polen, oder warst du nicht?", bohrt die beste Freundin von allen unerbittlich nach.

Jetzt darf ich auf keinen Fall Schwäche zeigen: "Ne, war ich nicht, aber ich war auch noch nicht am Nordpol und weiß trotzdem, dass es da schweinekalt ist und alles voller Pinguine", erwidere ich schlagfertig und komme mir schon etwas weniger ertappt vor.

"Hör mal, Tinky Winky," setzt Claudia ihre Predigt fort, "du solltest ein Land schon kennen, bevor du in aller Öffentlichkeit solch ein vernichtendes Urteil abgibst. Und am Nordpol gibt es übrigens keine Pinguine, das ist der Südpol", fügt sie klugscheißerisch hinzu.

"Du könntest dir Masuren ansehen, tiefblaue Seen, verlassene Landstriche, sandige Waldwege, alte Allen, Vögel und Geziefer, Sümpfe und Einsamkeit", kommt Claudia ins Schwärmen. "Das ist doch genau das, was du auf deinen Motorradreisen so schätzt."

"Meinst du wirklich, das lohnt sich, da mal hinzufahren?", frage ich misstrauisch.

"Da gibt es so Vieles, das du dir ansehen könntest: Die gewaltige Marienburg, den Elblag Kanal, die Kaschubische Schweiz, die Festung Bytow, die kurische Nehrung, die Biebrza-Sümpfe, die Wälder von Augustow, den Masurischen Kanal, der niemals fertig gestellt wurde, und natürlich Nikolaiken, das Venedig des Nordens."

"Na gut, wir können am Samstag ja mal sehen, ob es so eine Art Reiseführer von der Gegend gibt", lenke ich großmütig ein, denn ich erinnere mich, dass von Claudia auch der Tipp mit Gotland kam und der war gar nicht so schlecht, aber das können wir jetzt noch nicht wissen.

Noch vor vier Jahren habe ich über die Angst vor Polen geschrieben und bin dort nicht hingefahren, aber inzwischen gibt es einige Lichtblicke, denn wir beide haben uns weiterentwickelt, Polen und ich.

Ich durch günstige Lebensumstände und die fleißige Einnahme von Hormonen, und Polen durch den Lauf der Zeit, die Zugehörigkeit zur EU, oder vielleicht steht das Land auch nur auf einer Wasserader, ich weiß es nicht, aber die letzte Gay Pride soll zum ersten Mal eine fröhliche Party ohne Hauerei gewesen sein.

Nun ist mir die Gay Pride als solche völlig piepenhagen, aber sie ist ein wichtiger Indikator für die Toleranz und Aufgeschlossenheit einer Gesellschaft, eine Art Lackmustest, so wie Heidekraut auf sandigen Boden hinweist, denn ich habe keine Lust, verkloppt zu werden, nur weil irgend ein Hinterwäldler glaubt, er habe meinen Exmann entdeckt.

In der Buchhandlung kann ich mich für keinen der Reiseführer entscheiden und jetzt liegen beide aufgeschlagen und mit zahlreichen Markierungen versehen zwischen Infomaterial, Schmierpapier und Textmarkern auf einer Landkarte von Masuren.

Auf dem Bildschirm des iMac ist ein altes Eisenbahnviadukt zu sehen, das nahe der russischen Grenze steht. Wäre es nicht irre, da mit der Enduro rüberzufahren? Keine Ahnung, ob das geht, aber ich werde es herausfinden.

Fazit: Ich freue mich auf Polen und ganz besonders auf Masuren, aber ich bin auch ein klein wenig ängstlich, doch seinen Ängsten und Vorurteilen muss man sich stellen. Immer wieder.

PS: Natürlich bin ich nicht ganz allein unterwegs, denn Pieps und Greeny sind dabei, wie auf allen Reisen...